Homöopathie in der Geschichte der Medizin

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Die Entstehung der Homöopathie

Die Entstehung der Homöopathie muss im Kontext der zeitgenössischen Wissenschaft gesehen werden, damit sie aus heutiger Sicht nachvollzogen werden kann. Da Wissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts die noch fehlenden Grundlagenkenntnisse unter einfachsten Bedingungen erst noch finden mussten, erweist sich Dr. Samuel Hahnemann als ein außerordentlicher Pionier in der Medizingeschichte.

Die Entstehung der modernen Chemie

Bis zu den Entdeckungen Lavoisiers waren die Lehren von Joh. Joach. Becher (1635 - 1682) und G. E. Stahl (1660 - 1734) bedeutend, besonders in der Lehre des Phlogiston. Nach Prof. Neumann war das Phlogiston das brennbare Prinzip, ohne das nichts auf der Welt brennen kann. Schwefel z. B. bestand also aus Schwefelsäure und Phlogiston. Auch schreibt Neumann: „Das Wasser ist nichts als eine von der Wärme flüssig gemachte durchsichtige Erde, die man Eis nennet. Es besteht aus vier Elementen: terra vitrescens, terra mercurialis, terra sulfurea und inflammabilis.“[1]

Neumann wurde zu Hahnemanns Zeiten noch oft als Autorität genannt. Es gab auch noch Alchimisten.
Bei den chemischen Untersuchungen jener Zeit gab es die große Schwierigkeit, dass man keine oder nur wenige ‘einfache’ Körper, die Elemente, kannte. Man suchte nach dem „Grundwesen“ der Körper.

1791 schreibt Prof. Gren über chemische Verwandtschaften: Feuer mit Luft = Phlogisierte Luft; Luft mit Wasser = Durchdringung; Feuer mit Gummi = Kohle.
Lavoisier machte diesen Annahmen gegen heftigsten Widerstand und langer Gegenwehr ein Ende. In diese Zeiten fallen auch Hahnemanns chemische Arbeiten. 1770 zeigte Lavoisier, dass sich Wasser nicht in Erde verwandelt, sondern aus Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt ist. 1774 beweist er, dass die Zunahme des Gewichts, welche Metalle beim ‘Verkalken’ (Oxidieren) erfahren, von dem „Einschlucken“ von Luft herrühre.

In Crell’s Chemischen Annalen [2]veröffentlichte Hahnemann einige seiner frühen Schriften. 1790 lädt er zu Untersuchungen zur Entscheidung über die Frage zum Phlogiston ein. Leider kam es wegen des Ausbruchs der Französischen Revolution nicht mehr dazu, in deren Verlauf Lavoisier unter der Guillotine endete (1794).

1799 konstatiert Gmelin, dass das System Lavoisiers von dem größeren Teil der ‘Scheidekünstler’ angenommen sei. [3]

Hahnemann als Chemiker

Hahnemann trat als Chemiker auf, ohne dass er einen besonderen Unterricht gegenüber anderen Ärzten genossen oder vorher Assistent in einem Laboratorium gewesen wäre - er war Autodidakt. 1784 übersetzt er Demachys „Laborant im Grossen oder Kunst, die chemischen Produkte fabrikmäßig zu verfertigen“. 2 Bände. Hahnemann verbesserte und ergänzte das Werk durch eigene Anmerkungen bedeutend. Demachy war Mitglied der Akademien zu Paris und Berlin. Hahnemann zeigte in seinen Anmerkungen eine erstaunliche Kenntnis in allen Fragen, die irgendwie mit dem Inhalt des Buches zusammenhängen. Erschöpfend ist seine Literaturkenntnis, die er an zahlreichen Stellen durch Auskunft zum besseren Verständnis des Vorgetragenen zeigt. Oft erklärt er chemische Vorgänge genauer. Oft verbessert Hahnemann Irrtümer und Fehler, die Wilhelm Ameke in seinem Werk „Die Entstehung und Bekämpfung der Homöopathie“ durch einige Beispiele belegt.

1786 gibt Hahnemann das Buch „Über die Arsenikvergiftung, ihre Hülfe und gerichtliche Ausmittelung“ heraus. Der besonders um die Pharmazie verdiente Arzt Bergrath Dr. Buchholtz in Weimar schreibt: “... Die für jene Zeit klassische Schrift Samuel Hahnemanns über den Arsenik, wodurch die damals besten Arsenikanalysen in die gerichtliche Medizin eingeführt wurden.“

Veröffentlichungen Hahnemanns in Crell's Chemischen Annalen

1787 (II. 387-396): „Ueber die Schwierigkeit der Minerallaugensalzbereitung durch Potasche und Kochsalz“.

1788 (I. 141 - 142): „Ueber den Einfluss einiger Luftarten auf die Gärung des Weines“.

1788 (I. 291 - 305): „Ueber die Weinprobe auf Eisen und Bley“

1788 (III. 296 - 299): „Etwas über die Galle und Gallensteine“

1788 (III. 485f): „Ueber ein ungemein kräftiges, die Fäulniß hemmendes Mittel“

1789 (I. 202 - 207): „Mißglückte Versuche bey einigen angegebenen neueren Entdeckungen“

1789 (III. 291 - 298): „Entdeckung eines neuen Bestandtheils im Reißbley“
1790 (II. 22 - 28): „Vollständige Bereitungsart des auflöslichen Quecksilbers“

1791 (II. 117 - 123): „Unauflöslichkeit einiger Metalle und ihrer Kalke im ätzenden Salmiakgeiste“

1792 (I. 22 - 33): „Ueber die Glaubersalz-Erzeugung nach Ballen'scher Art“

1794 (I. 104 - 111): „Ueber die neuere Weinprobe und den neuen Liquor probatorius fortior“

1800 (I. 392 - 395): „Pneumlaugensalz, entdeckt von Hrn. D. Samuel Hahnemann“[4]

Die Chemie hält Einzug in die Medizin

Hierbei ist Hahnemann unter den Vorreitern und zeigt bei vielen Gelegenheiten das Bestreben, die Chemie im Dienste der Medizin zu verwerten.

Das Werk J. B. van den Sandes „Die Kennzeichen der Güte und Verfälschung der Arzneymittel“ stammt im chemischen Teil aus Hahnemanns Feder, wie auch die genauen Angaben der Bestandteile der einzelnen Drogen. Die Prüfungsmittel für die Arzneimittel gibt Hahnemann bisweilen so gedrängt, treffend und erschöpfend, dass man an die heutigen Pharmakopöen erinnert wird. Hahnemann zeigt in dieser Schrift bereits sein Bestreben, die Grenzen der Wirksamkeit der Stoffeund ihre Löslichkeit kennenzulernen.
Genauigkeit herrscht in allen Punkten. Er gibt die Schmelzpunkte der Metalle, die spezifischen Gewichte derselben und ihrer Präparate an, die Löslichkeit der Salze oft bei verschiedenen Wärmegraden, bei wichtigen, wie z. B. dem Salmiak, auch noch in Weingeist von verschiedener Temperatur. Besonders wichtig scheint ihm mit Recht die Bestimmung des spezifischen Gewichtes bei den
Säuren; er führte für die arzneiliche Verwendung verdünnte Säuren ein, wie es noch heute Gebrauch ist. Er setzt sogar die Verdünnungen nach dem spezifischen Gewichte fest, wobei er den heutigen Vorschriften sehr nahe kommt. Beim Essig soll die Stärke durch Sättigung mit einem Alkali bestimmt werden, wie es noch lange geschah.

An verschiedenen Stellen klagt Hahnemann über die ‘Unzuverlässigkeit der pharmaceutischen Präparate’ z. B. S 317, „die nie ein Arzt mit Gewissen verschreiben kann" oder S. 316 „worauf soll der Arzt sich verlassen?"

Bei der Exaktheit in seinen Arbeiten hat Hahnemann manches Neue gefunden und hier veröffentlicht.

Schon 1784[5]sprach Hahnemann für das Kristallisieren des Brechweinsteins, „damit wir doch endlich einmal in der Heilkunst von den Kräften dieses Mittels eine zuverlässige Norm bekommen mögen." Hätte man 1784 nach seinem Drängen kristallisiert, so wären die späteren Klagen nicht erfolgt. Später wurde dieses Mittel aus Algarothpulver und mittels Kristallisirens hergestellt, wie es Hahnemann empfohlen hatte. Auch an andern Stellen macht er auf die Wichtigkeit des Kristallisirens aufmerksam und mahnt die Apotheker, wo möglich nur kristallisierte, und nicht, wie so häufig, gepulverte Salze zu kaufen - wegen der leichteren Entdeckung der Verfälschungen.

Für die Selbstbereitung tritt Hahnemann überall da ein, wo Verunreinigungen nicht leicht zu entdecken waren.

Damalige Kritik von Prof. Baldinger [6] : „Dieses Buch ist äusserst wichtig und jedem praktischen Ärzte schon unentbehrlich, noch mehr aber jedem Physico,' dessen Pflicht es ist, Apotheken zu untersuchen ... Viel Gutes ist in diesem wichtigen und unentbehrlichen Buche gelehrt worden, das ich nicht genug empfehlen kann.“

In diesem Buch lehrte Hahnemann zum ersten mal seine sogenannte Weinprobe, die er später in Crells Chemischen Annalen noch genauer beschrieben hat. Hahnemann konnte so mit Bleizucker gepanschten Wein identifizieren, der zu ‘Koliken und „Kontrakturen“, auch zu Abzehrung und langsamen Tod führte’. Diese weittragende Entdeckung auf chemischem Gebiet führte zu weiter Verbreitung von Hahnemanns Namen. Übrigens wurde diese ‘Weinprobe’ später als ‘Hahnemanns Metallprobe’ verstanden.

 

Mercurius solubilis Hahnemanni

Chemiker waren auf der Suche nach einem Quecksilberpräparat, welches weniger ätzend und „giftig“ sei, als Sublimat, also salzsaures Quecksilber und Turpethum minerale, basisch schwefelsaures Quecksilber. [7]

Hahnemann löste zunächst Quecksilber unter Verwendung von Salpetersäure in der Kälte. Das entstehende Salz ließ er kristallisieren, spülte die Kristalle mit sehr wenig Wasser ab und trocknete sie auf Fließpapier. Auf diese Weise erhielt er reines salpetersaures Quecksilberoxydul.[8]" Schon damit hatte er ein lange gebräuchliches Salz geschaffen. Selbst das Hahnemannsche Mengenverhältnis, der stete Überschuss an Quecksilber, das Lösen in der Kälte, das Abspülen der Kristalle mit nur wenig Wasser, das Trocknen auf Fließpapier ohne Wärme wurde beibehalten, weil alle diese Vorschriften als wesentlich erkannt waren.
Diese Kristalle behandelte er mit einer bestimmten Menge Wasser und schlug die Lösung durch eigens bereiteten kohlensäurefreien Salmiakgeist nieder, zu dem er nochbesonders die Vorschrift gibt. Der Niederschlag bildet, nach 6-stündigem Stehen, einen schwarzen Teig, der auf einem Filtrum von weißem Fließpapier ohne alle Hitze getrocknet wird.


Die Ärzte urteilten: „Eines der allerwirksamsten gelinden Mercurialpräparate verdankt die Kunst dem bekannten und dadurch unsterblichen Hahnemann“.[9] Mit den Anerkennungen, die Hahnemann wegen seines Quecksilbers im Laufe der Jahre von nichthomöopathischen Ärzten gezollt wurden, können viele Seiten gefüllt werden.

Samuel Hahnemanns Apothekerlexikon

Verfasst 1793 - 1799

Der Stoff ist alphabetisch geordnet und bespricht alle Gegenstände, welche den Apotheker bei seinen Arbeiten interessieren. Die Darstellung ist kurz, lebendig und anregend. Man findet eine genaue Beschreibung der zweckmäßigsten Einrichtung einer Apotheke und deren Räume, z. B. unter den Wörtern „Apotheke", Keller, Trockenboden, Laboratorium etc. Ebenso sind die einzelnen erforderlichen Utensilien genau und mit großem Sachverständnis beschrieben. Jeder von diesen Artikeln zeigt, wie speziell Hahnemann mit den Arbeiten vertraut ist, und doch zeigt jeder andere Artikel es nicht minder. Häufig führt er neue, von ihm erfundene oder verbesserte Apparate an, nicht ohne das Verständnis durch Abbildungen zu unterstützen.


Mit großer Genauigkeit und in fesselnder Weise werden die einzelnen Arbeiten des Apothekers bei der Rezeptur und im Laboratorium besprochen. Man vergleiche die Ausführungen unter „Rezept", wobei Hahnemann vielerlei Anweisungen erteilt, die heute zur gesetzlichen Vorschrift geworden sind. Wie reichhaltig sind bearbeitet: Abdampfen, Abgießen, Abklären, Auflösen, Auslaugen, Auspressen u. a. allein im Buchstaben A. Es ist in den einschlägigen Dingen ein eingehender Unterricht für Apotheker gegeben, man lese nur „Emulsion", die verschiedenen Arten derselben aus Samen, Fetten, Harzen, Kampfer mittelst Gummi, Tragant, Ei etc., oder man schlage nach „Destillation" oder „Krystallisirung", um zu sehen, mit welchem Eifer Hahnemann praktisch gearbeitet haben muss, und wie er seine Erfahrungen geistig zu verarbeiten verstand.
Dass er durch und durch Sachkenner war, zeigt auch das Interesse, das er am scheinbar Unbedeutendsten nahm, das nur dem Selbstarbeitenden wichtig wird, so beim Beschlag der Öfen (I. 111), bei der Destillation, bei der Anleitung zum Selbstverfertigen nicht käuflicher Apparate, bei dem verschiedenen Feuerungsmaterial für verschiedene Zwecke (I. 294), beim Pulvern der verschiedenartigsten schwer zu behandelnden Stoffe (II 1.246), bei den einzelnen Schmelztiegeln zu verschiedenen Arbeiten (II. 2.-161), bei den verschiedenen Öfen je nach dem Zweck (II. 1. 145-150) etc.
Eine Reihe von Hahnemann's Forderungen für die Apothekenverwaltung sind jetzt allgemein angenommen.
In diesem Lexikon hat Dr. Hahnemann Literatur aus über 100 Werke von den ersten Biologen und Zoologen eingearbeitet.
Kraus sagte in seinem „medicinischen Lexicon" 1826 [10] : Hahnemann ist ein anerkannt guter Pharmazeut und hatte sich als solcher durch Darstellung seines sogenannten Mercurius solubilis und zum Theil durch seine Abhandlung über Arsenikvergiftung, wenn gleich nach ihm diese Lehre um ein Bedeutendes vervollkommnet ist, unverwelkliche Lorbeeren erworben."


So hat also Hahnemann's Forschergeist und eiserner Fleiss direkt und indirekt wichtige Beiträge zur Verbesserung der ärztlichen Heilwerkzeuge geliefert, Grundlagen der ärztlichen Kunst.

Arzneikunde

Die Arzneikunde beim Auftreten Hahnemanns

Die Begriffe von den Erscheinungen im gesunden und kranken Menschen wurden in Systeme gezwängt, welche von einzelnen Köpfen auf Grund vereinzelter Beobachtungen ausgedacht und den jeweiligen Ansichten und neuen Entdeckungen angepasst waren.


L. Hoffmann (1721-1807) fand, dass die meisten Krankheiten durch faule und durch saure Säfte entstanden, welche aus dem Körper entfernt oder mit „antiseptischen" und versüßenden" Mitteln verbessert wurden.
Stoll (1742-1788) lehrte, dass die Krankheiten unter dem Einfluss einer herrschenden Konstitution ständen, welche „durch die stehenden Witterungs- und epidemischen Fieber" bestimmt würde.
Kämpf (1726-1787) zeigte, dass die meisten Krankheiten ihren Sitz im Unterleibe hätten und durch „Infarkte" veranlasst würden.
Ende der 90er Jahre begann ausserdem noch das System des Schotten John Brown (1736 —1788) sich über Deutschland zu verbreiten. Brown trat mit großer Sicherheit auf. Nach seiner eigenen Ansicht hatte er als erster die Arzneikunst zu einer echten Wissenschaft erhoben, welche bald den Namen „Lehre der Natur" erhalten werde. Nach derselben besitzt jeder Mensch einen mehr oder weniger hohen Grad von Erregbarkeit. Auf dem richtigen Maße von Erregung beruht die Gesundheit. Krankheit entsteht entweder durch ein Übermaß von Erregung (Sthenie) oder durch Mangel an Erregung (Asthenie). Die Aufgabe des Arztes bestand einfach darin, die zu starke Erregung zu mäßigen, oder die zu schwache Erregung zu stärken. So wurden alle Krankheiten in zwei entsprechende Klassen eingeteilt, und ebenso die Heilmittel; es gab „sthenische" und „asthenische." Bei den auf übermässiger Kraft beruhenden Affektionen wandte man „reizentziehende" Mittel an, welche nach der Reihenfolge ihrer Wirkung diese waren: Aderlass, Kälte, Erbrechen, Purgieren, Schwitzen. Bei den asthenischen Krankheitsformen wurden sthenische Mittel verordnet, der Reihenfolge ihrer Heilkraft nach: Fleisch, Wärme, Verhinderung des Erbrechens, Purgirens, Schwitzens durch Fleischkost, Gewürze, Wein, Bewegung; ferner im höheren Grade des Leidens flüchtige Reize: Moschus, flüchtiges Alkali, Kampfer, Aether, Opium.<Rev>Vg. B. Hirschel, Geschichte des Brown’schen Systems, Dresden und Leipzig, 1846, S.37</ref> China wurde erst von den Anhängern Browns hinzugefügt. Die Kenntnis des Baues und der Verrichtungen des Organismus war nur von untergeordneter Bedeutung, da alles auf die Reize und den Grad der Erregbarkeit ankam. „So groß," sagte Brown, „ist die Einfachheit, auf welche die Arzneikunde zurückgebracht ist, dass ein Arzt, wenn er ans Krankenbett kommt, nur drei Dinge ins Reine zu bringen hat. Erstens ob die Krankheit allgemein oder örtlich sei, zweitens, wenn allgemein, ob sthenisch oder asthenisch, drittens vonwelchem Grade der Erregung sie sei. Hat er über diese drei Punkte sich Aufschluss verschafft, so bleibt ihm nichts übrig, als seine Heilanzeigen und seinen Kurplan festzusetzen und ihn durch die dienlichen Mittel auszuführen."[11]
Die Diagnose war Nebensache.
Zugleich mit Brown kam die von Schelling begründete  [12] Naturphilosophie auf. „Aechte Naturphilosophie," sagt Steffens, „hebt als solche jeden Gegensatz, jeden Streit der Meinungen und Hypothesen gegen andere Meinungen und Hypothesen auf, kann also keinen Gegner haben." „Ein wahres Wort" bemerkt dazu ein Rezensent. [13] Echte Naturphilosophie wusste alles, erklärte alles: „Die Naturphilosophie hat für das Erkennen die Priorität, denn sie ist das Erkennen des Erkennens, oder als das potenzierte Erkennen zu betrachten."
[14]
Bewunderungswürdig war die Bestimmtheit, mit welcher jede Erscheinung ohne Bedenken erklärt wurde. „Magnetismus ist Verwandlung des Sauerstoffs und Wasserstoffs in Kohlenstoff und Stick
stoff," sagt Steffens S. 91, und Schelling wusste [15] : Sauerstoff ist Prinzip der Elektrizität.
Der Wirbel der Naturphilosophie erfasste die Köpfe der größten Anzahl deutscher Gelehrten und der hervorragendstenÄrzte. Nur wenige entgingen demselben, wie Hufeland, A. v. Humboldt, Blumenbach, Treviranus, Sömmering, Wedekind.
Allgemein fehlte der Plan, nach welchem gearbeitet werden sollte.
Um die Mitte des 18. Jahrhundertes beschrieb Haller das Blut so: „Das Blut besteht obenhin betrachtet aus gleichen Theilen, ist gerinnbar, um so röther, je besser genährt das Thier ist; in einem schwächlichen, hungrigen Thiere ist es gelblicht. Die zuweilen beigemischte Weisse kommt meistens vom Chylus."
1789, circa 30 Jahre später lehrt J. Fr. Blumenbach, der berühmte Göttinger Professor[16] : „Das Blut ist eine Flüssigkeit seiner Art, von bekannter, bald stärkerer, bald schwächerer Farbe, welche beim Befühlen klebricht, warm, und da es durch die Kunst nicht nachgeahmt werden kann, unter die Geheimnisse der Natur zu rechnen ist." Hier war also in der langen Zeit kein Fortschritt zu erkennen.
1803 lehrte man schon [17] : „Das Blut ist aus 9 Theilen gemischt: dem riechbaren Stoff, dem fadenartigen Theile, Eiweissstoff, Schwefel, Gallerte, Eisen, Laugensalz, Natrum und endlich aus Wasser . . . Die Grundstoffe des Blutes sind: Wasserstoff, Kohlenstoff, Salpeterstoff, Grundstoff der Salzsäure, Phosphor, Schwefel, Oxygene, Kalkerde und Eisen."
Die physiologische Chemie hatte also große Fortschritte gemacht, von denen man überrascht war, und die Ansicht hatte, sie praktisch verwerten zu können.
Reich hielt den Sauerstoff für das einzig sichere Mittelgegen Fieber, welches in der übermäßigen Entwicklung und Anhäufung von Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor bestand. Er war Professor der medizinischen Fakultät in Erlangen und Berlin, und pries in öffentlichen Blättern und einer besonderen Schrift [18] ein Geheimmittel gegen Fieber an, welches er nur gegen pekuniäre Vergütung bekannt geben wollte. Das Mittel sollte in kurzer Zeit, oft plötzlich das Fieber abschneiden. Eine Kommission von vier Ärzten stellte Versuche in der Berliner Charite damit an, und fand es probat in einer Anzahl von Fällen. Auf das Gutachten dieser Kommission hin wurde dem Professor für Veröffentlichung seines Geheimnisses vom Könige von Preussen bewilligt „eine jährliche Pension von 500 Thaler mit Befreiung von Tax- und Stempelgebühren;" im Falle seines Todes ging die Hälfte davon auf seine Wittwe über. [19]
Dieses war bekannt, bevor die Veröffentlichung des großen Fiebermittels erschien, worauf man nun mit großer Spannung wartete. Endlich wurde die Wissbegierde befriedigt, im Herbst 1800. Das merkwürdige Fiebermittel bestand in Schwefelsäure und Salzsäure; Salpetersäure war unter Verhältnissen auch gut. [20]
Die „für Studirende und Aerzte" geschriebenen Lehrbücher der Therapie waren so buntscheckig wie die Landkarten. Die Ontologie, die Idee, dass Krankheit ein fremdartiges, im Körper sein Unwesen treibendes Ding ist, war von Galen her noch in großen Ehren. Deshalb stand die „ausleerende Methode" obenan. Weiter gab es eine exzitierende Methode, eine stärkende, eine schwächende Methode, eine besänftigende — antagonistische — restaurierende (nicht zu verwechseln mit der stärkenden) — eine adstringierende Methode, welche die Kohäsion vermehrte — eine relaxierende, welche die Kohäsion verminderte — eine derivierende, deobstruierende, resolvierende Methode, ferner eine specifische, antimiasmatische, antiseptische und antigastrische Methode. [21]

Arzneimittel beim Auftreten Hahnemanns

Die Arzneimittel wurden diesen Methoden angepasst; so gab es versüßende, verdünnende, auflösende, verdickende, blutreinigende, kühlende, ausleerende, schleimeinschneidende etc. Arzneien. Ein Simplex zu verordnen war ungewöhnlich. Man findet noch die Ansicht, dass ein Rezept aus einer Basis, einem Konstituens, einem Adjuvans, einem Korrigens und einem Dirigens bestehen müsse.
Kompositionen von 8, 10 und mehr Mitteln waren an der Tagesordnung. Es gab sogenannte „Magistralformeln," komplizierte Mischungen gegen gewisse Krankheiten, von „Autoritäten" zusammengesetzt, durch die „Erfahrung" geheiligt. Solche wurden in den Apotheken vorrätig gehalten, und man wagte nicht daran zu modeln.
Wie die erzählten Krankengeschichten in den Journalen ausweisen, wurden die Rezepte bei akuten Krankheiten häufig alle Tage, bei chronischen alle 2 —3 Tage gewechselt.. Und welche unglaublichen Mengen von Arzneien wurden dem kranken Körper eingeflößt! Darin übertrafen sich die verschiedenen Systeme gegenseitig.

Die tiefer liegenden Gründe für diesen Wirrwarr sahen diese Ärzte selbst nicht ein. Sie verstanden nicht zu beobachten. Statt Tatsachen zu sammeln und nur Tatsachen zu sammeln, und keine weiteren Schlüsse daraus zu ziehen, als soweit diese Tatsachen reichten, knüpften sie an einzelne Beobachtungen an, machten Vergleichungen, schufen Theorien, und ordneten die Dinge diesen Theorien unter. Zum Überfluss verlieh die Naturphilosophie diesen Spekulationen Flügel, und man hob sich vollends aus der Wirklichkeit in die Welt der Phantasie.
Dazu kam, dass das Streben nach Erkenntnis bei einem großen Teil, der Ärzte sehr darnieder lag. Darüber wurde häufig Klage geführt. Prof. Baldinger bedauerte, dass nicht allein viele Ärzte, sondern auch viele Professoren wenig Studieneifer zeigten. [22]

Die ärztliche Kollegialität entsprach dem Grade des Wissens. „Ein wütiger Parteigeist," schrieb Prof. Roose 1803 [23] , „hat sich vieler Gemüter bemächtigt und droht sich immer allgemeiner zu verbreiten. Die Ärzte spalten sich in Sekten und stehen in heftigem, zum Teil unbegründeten, Widerspruch zueinander. Eine Meinungswut und eine Verfolgungssucht wird unter den Ärzten immer gewöhnlicher. "
Je unsicherer sich der Arzt in seiner Kunst fühlt, um so lauter der Ruf nach Staatshilfe gegen die Kurpfuscher und Quacksalber. Wedekind (1. c. S. 38): „Der wissenschaftliche Arzt geht zu Grunde, wenn die Regierung ihn nicht auf alle Art begünstigt."

Hahnemanns Leistungen in der Arzneikunde

Die erste größere medizinische Schrift von Hahnemann erschien 1784 [24] „Der grösste Theil der Aerzte," sagt Halmemann in der Vorrede, „macht sich damit nichts zu schaffen und überlässt sie dem Bader, dem Schäfer und dem Scharfrichter, gewiss mehr aus Unwissenheit, als aus Ekel. Der Ruhm, dergleichen Heldenkur verrichtet zu haben, überriecht den faulen Eiter bey weitem."

Das Verfahren der alltäglichen Ärzte und Wundärzte bestand zunächst in „Reinigung des Blutes," Aderlassen, Schröpfen, Schwitzen, Purgieren. Äußerlich waren die Bleipräparate, besonders Bleisalben und -pflaster die Hauptmittel.

Vom Autoritätsglauben der damaligen Zeit scheint Hahnemann auch als junger Arzt unberührt geblieben zu sein. „Das gewöhnliche Ende solcher Kurarten machen alte Weiber, der Scharfrichter, der Vieharzt, der Schäfer und der Tod. Bei dem allen hindert mich Ehrgeiz nicht, zu gestehen, dass Viehärzte grösstentheils glücklicher, dass ist geschickter in Heilung alter Wunden sind, als oft der schulgerechteste Professor und Mitglied aller Akademien. Man schreie nicht, dies sei blosse Empirie, ich wünsche mir ihre handwerksmässigen Kunstgriffe zu besitzen, die sich auf Erfahrungen gründen, welche ihnen freilich oft nur die Behandlung der Thiere an die Hand gegeben hat, die ich aber gerne gegen verschiedene medicinische Folianten eintauschen möchte, wenn sie ihnen dafür feil wären."

Den Mangel an einem Prinzip zur Auffindung von Heilkräften beklagt er schon damals. Wenn Hahnemann sich von einer Sache überzeugt hielt, so trat er mit der größten Bestimmtheit auf und ließ sich so leicht nicht davon abbringen. "Ich habe," sagt er, „die ausgesuchtesten und zahlreichsten Erfahrungen vor mir und verlange unumschränkten Glauben in diesem Stücke."

Wo es nötig war, riet er energisch einzugreifen. [25]

Er erzählt von einer Karies des Mittelfußknochens der großen Zehe mit unterminierenden Fisteln und jauchigem Eiter. „Ich wurde gerufen. Ich erweitere die Wunde, verbinde sie etliche Tage mit Digestiv (eine Abreibung von Perubalsam oder Kopaivabalsam mit 2-3 Teilen Eidotter), den Knochen schabe ich reine aus und sondre das Verdorbene ab, verbinde ihn mit Alkohol und sehe dem Erfolge zu." Später legte er abwechselnd Verbände von Sublimatwasser und Digestiv an. Innerlich gab er stärkende Arzneien und allmälich trat die Heilung ein. Das Ausschaben des kariösen Knochens wird heute als eine Errungenschaft der neueren Zeit hingestellt. Jedenfalls zeigt Hahnemann durch seine Wund- und Geschwürsbehandlung, dass er auch als Chirurg Vorzügliches geleistet hat und die Masse seiner Zeitgenossen überragte, und er hatte nicht Unrecht am Schluss zu sagen:
„Man wird mir nicht verargen, dass ich auf eine so allgemein anwendbare Heilung der alten bösartigen Geschwüre dringe, und sie allen übrigen, doch mit Einschränkung, vorziehe; die ausgesuchtesten, gehäuftesten Erfahrungen sind auf meiner Seite. Wer so viel Beobachtungen in diesem Falle anzustellen Gelegenheit gehabt hat, als ich, wer sich so von dem Wohlsein seiner Nebenmenschen dahinziehe und bestimmen lässt, wie ich von mir fühle, wer so sehr die Vorurtheile und die Vorliebe für das Alte und Neuere, oder überhaupt für das Ansehn irgend eines großen Namens hasset und sich so eifrig bestrebt, selbst zu denken und zu handeln, wie ich dies Zeugnis bei mir fühle, der kann, wie mich deucht, nicht leicht auf eine andere oder bessere Behandlung alter Geschwüre kommen, kann folglich mit mir auch vorzügliche Erfolge seines Fleisses sehn, die größte unter den Belohnungen, die ein rechtschaffner Arzt erwarten darf, Erfolge, die mir fast nie trügten, da sie vor Andern hingegen bei andrer Behandlung fast stets verschwanden."

 

Nicht minder günstige Aufnahme bei seinen ärztlichen Kolegen auch fand die Schrift: "Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten, nebst einem neuen Queksilberpräparate. Leipzig 1789". In der „Medic. chir. Zeitung" [26] las man:

„... Das Buch ist aber nicht nur die Arbeit eines Mannes von Kopf und Gelehrsamkeit, sondern auch in einer aphoristischen Kürze geschrieben, wozu nur der gelehrte Arzt in Hunter, Schwediaur, André etc, den Kommentar findet. — Es ist ein Buch für akademische Vorlesungen, obgleich der Verfasser es nicht dafür bestimmt hat".

Bald erschien das Buch über Syphilis von A. R. Vetter: „Neue Curart aller venerischen Krankheiten nach Hunter, Girtanner und Hahnemann." [27]

Ueber seine Uebersetzung von Cullen's Materia medica schreibt die „Medicinisch-chirurgische Zeitung." [28] :

„Herr Hahnemann hat diese Uebersetzung, der Dunkelheit des Vortrages im Original ungeachtet, mit besonderem Fleiss verfertigt . . . Die Anmerkungen des Herrn Uebersetzers sind grösstentheils sehr lehrreich, und auch durch seine hin und wieder angebrachten Berichtigungen hat er den Werth dieses wichtigen Werkes erhöhet."

Hahnemann und die Psychiatrie

Die Art und Weise, wie früher (wir brauchen nicht einmal bis auf Hahnemanns Zeit zurückzugehen) die Geisteskranken behandelt wurden, kennt jeder Arzt. Aufgeregten und widerspenstigen Kranken dieser Art begegneten die Ärzte wie wilden Tieren; man wollte Angst, Schrecken, Entsetzen in ihnen erzeugen. Körperliche Züchtigungen, Ekelkuren waren etwas Alltägliches. Tobsüchtige wurden auf ein horizontales Brett geschnallt, das mit grosser Schnelligkeit um eine vertikale Achse gedreht wurde, in den sog. Drehstuhl gesetzt etc. „Eine als gut eingerichtet geltende Irrenanstalt erschien daher in gewisser Beziehung einer Folterkammer nicht ganz unähnlich," sagt Westphal. yref>Psychiatrie und psychiatrischer Unterricht, Berlin 1880.</ref>  Diese Behandlung wurde auch von Ernst Horn in der ihm 1806 übertragenen Irrenabtheilung der Berliner Charite, damals die grösste Irrenanstalt Preussens, eingeführt. Ausserdem erfand er noch den „geschlossenen Sack", worin die Maniakalischen zugebunden wurden, und in welchem sie, nach Westphal, da liegen bleiben mussten, wo sie eben hingelegt waren.
„Man scheut sich zu gestehen," sagt Westphal 1880, „ein wie kurzer Zeitraum dazwischen liegt, dass Geisteskranke Sonntagsbesuchern vou Hospitälern und Arbeitshäusern als eine Art Sport gezeigt und zum Vergnügen der Besucher gereizt wurden."

Hahnemanns psychiatrischer Standpunkt war dieser:

„Nie lasse ich einen Wahnsinnigen je mit Schlägen oder andern schmerzhaften körperlichen Züchtigungen bestrafen, weil es für Unvorsetzlichkeit keine Strafe gibt, und weil diese Kranken bloss Mitleid verdienen und durch solche rauhe Behandlung immer verschlimmert, wohl nie gebessert werden." [29] So behandelte und heilte er 1792 den wahnsinnig gewordenen, als Schriftsteller bekannten Geh. Kanzleisekretär Klockenbring aus Hannover. Nach seiner vollkommenen Wiederherstellung vom Wahnsinn zeigte dieser Unglückliche seinem Retter „oft mit Thränen die Reste der Schwielen von Stricken, deren sich seine vorigen Wärter bedient hatten, ihn in Schranken zu halten."
Hahnemann marschierte also auch hier an der Spitze. Dass er anfangs den Aderlass anwandte, ist natürlich; aber wir finden ihn stets sehr vorsichtig dabei zu Werke gehen und schon 1784 gegen die übermäßigen. Blutentziehungen ankämpfen. 1832 schreibt Hahnemann in einem Briefe an M. Müller  [30] , dass er seit über Jahren die Aderlass-, Brech- und Purgiermittel verschmähe. 1797 hat er indess noch Blutziehungen angewandt, wie aus einer Abhandlung in Hufeland's Journal hervorgeht, und 1800 war er wenigstens noch kein absoluter Gegner derselben, „In sthenischen acuten Uebeln thun Aderlass und möglichste Entfernung aller Art von Reizen weit mehr als die wässerigen Tränke." [31]

Die Krätze

Die Krätze aus frühmedizinischer Sicht

In Bezug auf die Krätze nahm Hahnemann einen sehr „vorgeschrittenen" Standpunkt ein, den er indess über 30 Jahre später vollständig änderte. Abgesehen von bloßen Andeutungen älterer Schriftsteller hat Bonomo in Livorno schon 1683 die Krätzmilbe richtig abgebildet, weshalb ihn Wichmann[32] mit Recht den Begründer der Krätztheorie nennt. Bonomo gestand ein, dass er durch arme Weiber und Sklaven in Livorno darauf gebracht sei, welche sich die Milben mit Nadeln gegenseitig herausgesucht hätten.

Die Parasitenlehre wurde indess wenig oder gar nicht beachtet, bis Linné 1757 (Exanthemata viva) und der obengenannte Wichmann 1786 dieselbe in Erinnerung brachten.

Wichmann stand in seiner Schrift bereits vollständig auf dem heutigen Standpunkte. In England wurde die Krätze bereits allgemein als „lebender Ausschlag" behandelt, in Frankreich warnte die medizinische Fakultät noch vor den äußeren Mitteln, mit denen man dort im Volke gegen dieses Leiden vorging. [33]

Nicht viel anders war es in Deutschland. Wichmann wurde überhört. Es herrschte die Ansicht vor, die Milbe sei das Produkt, nicht die Ursache der Krätze. So nahm Joh. Jak. Bernhard[34] die Milbe in der Krätze und „die mikroskopischen Thierchen in andern contagiösen Krankheiten" nicht für das Kontagium selbst an. Er hielt sie aber für wesentliche Bestandteile der Ansteckungsstoffe, „wie die Thierchen im Samen und in der Vaccinalymphe."

Auch zufällig könnten sich wohl dergleichen Tierchen erzeugen ohne ansteckend zu sein wie z. B die Läusesucht bewiese.

Friedrich Jahn bestreitet 1817 energisch die Parasitentheorie der Krätze. [35] Er hält die „unleugbaren Krätzmetastasen" und vieles Andere entgegen und urteilt zuletzt: „Wir können also diese ganze Theorie als ungegründet annehmen."

J. P. Frank tritt in seinem 1821 vollendeten Buche „De curandis hominum morbis" als einer der entschiedensten Vertreter der causa viva auf, will die Krätzmilbe im Anfang töten, aber bei länger dauernder Krätze hält er „unvorsichtige Unterdrückung" für sehr gefährlich. Er unterscheidet 13 Arten von „symptomatischer Krätze," so eine scorbutische, eine hypochondrische, critische, plethorische etc.; auch eine „P. neogamorum," eine Krätze der Neuvermählten ist darunter.

Ferdinand Jahn, ein talentvoller Schüler Hensingers und Schönleins, ein Anhänger der naturhistorischen Schule, hat 1828 folgende Ansicht:[36] „Die chronischen Ausschläge sind in den meisten Fällen die äussern Erscheinungen von Dyskrasien, die mit fester, starker Wurzel im Innern des Organismus haften . . . Krätze, der die Hautblüthen genommen wurden, entwickelt ihre im Innern des Organismus ruhende Wurzel stärker, sodass jene Erscheinungen, die unter dem Namen der Kratzmetastasen berüchtigt sind, sich einstellen." Solchen Ansichten gegenüber vergesse man nicht, dass damals Krätzausschläge mit dichten Eiterpusteln über den Körper und ausgedehnten Hautverschwärungen keine Seltenheit waren.

Autenrieth, bekanntlich ein Schüler J. P. Franks, schreibt unter dem Titel: „Nachkrankheiten, welche auf vertriebene Krätze folgen" im Jahre 1808:[37]„Die furchtbarste und in unsern Gegenden häufigste Quelle chronischer Krankheiten der Erwachseuen sind die mit Schwefelsalbe oder überhaupt mit fettigen äussern Mitteln schlecht behandelten Rauden- oder Krätzauschläge. Ich habe das Unglück, das bei Rauden der untern Stände, und denen, die eine sitzende Lebensweise haben, dadurch entsteht, so häufig hier gesehn, und ich sehe es täglich in so mannigfaltiger, trauriger Gestalt, dass ich keinen Augenblick anstehe, es für einen der Aufmerksamkeit jedes Arztes, selbst jeder Obrigkeit, der irgend auch das Gesundheitswohl ihrer Untergebenen am Herzen liegt, würdigen Gegenstand laut zu erklären."

Nachkrankheiten von „verschmierter Krätze" sind nach Autenrieth I. c: „Fussgeschwüre — Lungenschwindsucht — eine Art hysterischer Chlorosis — weisse Kniegeschwulst — Gelenkwassersucht — Amaurose mit Verdunkelung der Hornhaut — Glaukom mit Amaurose — Geistesverwirrung — Lähmung — Schlagfluss — gekrümmter Hals" etc.

Trotz alledem vertrat Autenrieth die Parasitentheorie in einer für seine Zeit ungewöhnlichen Ausdehnung. Man hielt eben dafür, dass die Milbe zugleich Trägerin eines Giftes sei, welches von der Oberfläche nicht in das Innere des Körpers „verschmiert" werden dürfe, und dass andererseits die Krätze das auf die Haut geworfene Produkt innerer Krankheiten sein könne.

Hufeland wird es bestätigen:[38]„Aber die Krätze kann auch als Product und Symptom innerer Krankheiten erscheinen — Scabies spuria. Hier ist sie zwar nur Form einer andern Krankheit, aber auch hier kann sich zuletzt ein Contagium entwickeln und so ansteckend werden. Dahin gehört die syphilitische, die scrophulöse, die arthritische und scorbutische Krätze, auch die critische, ein krätzartiger Ausschlag, mit und durch welchen die critische Lösung sowohl acuter, als chronischer Krankheiten erfolgt . . . Die in Pusteln gefundenen Milben sind nicht Ursache, sondern Wirkung, Parasiten der Krätze . . Aber hierbei (bei der Behandlung) treten manche Schwierigkeiten und wichtige Rücksichten ein. Man kann nämlich durch eine bloss örtliche Anwendung des Specificums auf die Haut zwar die krankhafte Thätigkeit der Haut supprimiren, aber das Contagium selbst, was schon tiefer eingedrungen ist, wird dadurch nicht zerstört, und die Folge ist, entweder dass die Krätze immer wieder erscheint, oder, was noch schlimmer ist, sich auf innere Theile wirft und oft sehr gefährliche und hartnäckige Metastasen erzeugt. So kann Lungensucht — Lungenkrätze — Wassersucht, Magenkrampf — Magenkrätze - Epilepsie und alle Arten von Nervenkrankheiten die Folge sein.
Noch bedenklicher wird dies, wenn die Krätze complicirt mit einer andern Krankheit oder gar ein Product oder Crise einer andern Krankheit ist."

Im Jahre 1835 konnte der belesene Rau[39] noch schreiben: „Die Behauptung, welche ein bekannter Schriftsteller (Krüger-Hansen?) unlängst aufgestellt hat, dass gar keine nachtheiligen Folgen von schnell unterdrückter Krätze zu befürchten seyen, wird durch so zahlreiche Beobachtungen widerlegt, dass es nutzlos seyn würde, mit einem Widerspruche hervorzutreten."
Nebenbei sei daran erinnert, dass man zu jenen Zeiten noch eine sehr mangelhafte Diagnostik der Hautkrankheiten hatte, dass Skabies, Ekzem, Impetigo, Prurigo etc. noch nicht voneinander unterschieden wurden, und für verschiedene Intensitätsgrade einer und derselben Krankheit galten.

 

Hahnemann und die Krätze

Hat Hahnemann die Krätzmilbe gekannt? Und in welcher Zeit hat er Kenntniss von ihr gehabt? Bei der Übersetzung von Monros Arzneimittellehre, 1791, schreibt Hahnemann in einer Anmerkung (II. 49):

„Lässt man einen kürzlich angesteckten Krätzigen mit wohlgesättigtem, schwefelleberlufthaltigem Wasser täglich etliche Male waschen, auch wohl das leinene Zeug hineintauchen, so ist das Uebel binnen etlichen Tagen verschwunden, und kommt ohne eine neue Ansteckung nicht wieder. Müsste sie aber nicht wieder kommen, wenn eine Schärfe der Säfte zum Grunde läge? Diese Erfahrung habe ich sehr oft gemacht und: vermuthe nebst Andern einen lebendigen Stoff als Krankheitsursache. Alle Insecten (wozu bekanntlich. damals die Krätzmilbe gezählt wurde) und Würmer werden durch Schwefelleberluft getödtet."

Später betont er in demselben Werke in einer Anmerkung nochmals (II. 441), dass Krätze ein „lebendiger Ausschlag" sei.

Im Jahre 1795 las man von Hahnemann eine Abhandlung „Ueber den Ansprung (crusta lactea). MBk (1795), 3. Bd., 4. St., S. 701-705" in J. Fr. Blumenbachs medizinischer Bibliothek. [40]Dieses Werk erschien nicht in bestimmter Zeitfolge. Es finden sich in diesem Bande Arbeiten, welche bereits 1703 verfasst sind. Hahnemann hat seinem Aufsatz kein Datum zugesetzt, sodass die Zeit des Niederschreibens sich nicht genau bestimmen lässt.

Er erzählt aber darin, dass er sich zur Zeit der beschriebenen Maßnahmen auf dem Lande befunden habe. 1794 bis 1796 hielt er sich in Pyrmont und Braunschweig auf; 1792 bis 1794 bei Gotha. In diese letztgenannte Zeit fällt also die folgende Beobachtung. In dem Dorfe, (wahrscheinlich Molschleben) „wo meine Kinder vollkommene Gesundheit genossen", waren viele Kinder mit der sogenannten Milchkruste behaftet und zwar in ungewöhnlichem Grade. Da Hahnemann glaubte, eine Übertragung dieser Affektion bemerkt zu haben, so suchte er eine Berührung seiner Kinder mit den infizierten Dorfkindern zu verhüten. Einem derart kranken Knaben gelang es indess, zu ihnen zu kommen, „und ich ward ihn gewahr, wie er vertraulich mit ihnen spielte. Ich entfernte ihn; aber die Ansteckung war geschehn." Der Knabe hatte Hahnemann's Kinder geküsst. Es bildete sich das Uebel zuerst bei dem einen, dann bei seinen 3 andern Kindern aus.
„Ich übergoss trockene Schwefelleber — Austerschalenpulver mit gleichen Theilen Schwefel gemischt und 10 Minuten in Weissglühe erhalten — mit warmem Wasser. Es entsteht eine gelinde schwache Auflösung. Hiemit bepinselte ich das Gesicht der zwey, welche den Ausschlag am stärksten hatten, alle Stunden, zwey Tage nach einander. Schon nach dem ersten Befeuchten merkte ich, dass das Uebel still stand, und allmählig heilte." Dasselbe Verfahren wandte er bei den andern Kindern mit Erfolg an.
„Das Mittel zersetzt sich auf der Haut durch die freye Luft allmälig, und es entwickelt sich unter üblem Geruche die Schwefelleberluft, welche, wie bekannt, die meisten Insecten plötzlich tödtet."
„Ist der Ansprung nicht ein Hautübel blos von Ansteckung? Hat die Ansteckung nicht etwa gar kleine Thierchen zum Miasm?"
„Ich getraue mir in der Praxis keine Gelegenheit wieder zu finden, die mir die Bejahung dieser Frage so positiv an die Hand gäbe, als diese, die ich so ganz in meiner Gewalt hatte."
„Meine Kinder bekamen keine Abführungsmittel, noch sonst etwas, da sie übrigens gesund waren und gesund blieben."

1791 erzählt er (Monro I. 76), dass er Krätze durch bloss innerliche Arznei geheilt habe, was dadurch zu erklären war, dass man mit dem Namen "Krätze" einen viel weiteren Begriff verband, als heutzutage. „Krätze" war eine Diagnose, welche weit über die Grenzen unseres heutigen Begriffes Skabies, Krätze, hinausging. So hatte sich ihm allmählich der Gedanke aufgedrängt, dass den Hautkrankheiten ein „Etwas" zu Grunde liege, welches auch andere Krankheiten zu erzeugen im Stande sei, und von Generation zu Generation sich forterbend die entfernte Ursache für viele Krankheiten bilde. Außer dieser Psora blieben noch als Grundursachen übrig die Sycosis, mit dem Tripper zusammenhängende Erscheinungen, und Syphilis. Wenn auch etwas Wahres in diesen Ansichten enthalten sein mag, so ging doch Hahnemann damit weit über die Wirklichkeit hinaus und geriet in einen großen Irrtum.


Hahnemanns frühe Reputation als Arzt

Über Hahnemanns Ruf als ausübender Arzt in damaliger Zeit berichten Zeitgenossen.

Brunnow erzählt[41] : „In der That gelangen ihm schon im Anfange seiner ärztlichen Thätigkeit vermöge seines einfachen Heilverfahrens viele ausgezeichnete Kuren, und es wurde ihm überall, wo er auftrat, der Ruf eines ebenso umsiehtsvollen als glücklichen Praktikers zu Theil"
Die Medicinisch-chirurgische Zeitung (1799 II. 411) schreibt: „Hahnemann hat sich als ausübender Arzt einen Nahmen in Deutschland erworben."
In derselben Zeitschrift
[42]wird er als ein Arzt geschildert, „dem wir schon so manchen schönen Beytrag zur Vervollkommnung unserer Wissenschaft schuldig sind."
In den Allgemeinen medicinischen Annalen des 19. Jahrh. wird im Novemberheft 1810 Hahnemann ein Mann genannt, „welcher seit länger als 20 Jahren als denkender Arzt und guter Beobachter bekannt ist . . . und dabei seinen Ruf als geschickter und glücklicher Practiker fortdauernd erhalten hat."
Hufeland nennt ihn 1798
[43]einen Mann, „dessen Verdienste um unsere Kunst entschieden genug sind," und ferner[44] „einen der vorzüglichsten Aerzte Teutschlands," . . . „einen in Erfahrung und Nachdenken gereiften Arzt."
1800 sprach Daniels[45] von dem „durch seine Schriften berühmten Hahnemann."
In demselben Jahre schrieb Bernstein im „practischen Handbuch für Wundärzte": „Samuel Hahnewann, ein sehr verdienter Arzt, ist bekannt durch sein vortreffliches Quecksilberpräparat, nemlich den Merc. solub., ferner durch seine Weinprobe und überhaupt durch seine chemischen und pharmaceutischen Schriften, und hat sich auch um Wundärzte verdient gemacht. Er gab für solche heraus: Anleitung alte Schäden und Geschwüre zu heilen 1784, und: Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten. Leipzig 1786."
Im Jahre 1791 erwählte ihn die Leipziger ökonomische Gesellschaft, dann die Kurfürstlich-Mainzische Akademie der Wissenschaften, später die physical. medic. Gesellschaft zu Erlangen zu ihrem Mitgliede.
1798 las man in der Medicinisch-chirurgischen Zeitung (IV. 192) diese Notiz: „Mietau. Hier soll eine provisorische Universität errichtet werden. Man sagt, für die medicinische Fakultät seyen Herr Dr. Samuel Hahnemann zu Königslutter, Herr Dr. Samuel Naumburg in Erfurt und Herr Dr. Frank in Mühlhausen bestimmt."

Hahnemann als Reformator

 

 

 

 

  1. Prof. Caspar Neumann in ‘Chymia Medica Dogmatico-Experimentalis [Gründliche und mit Experimenten erwiesene Medizinische Chemie], 2. Auflage, 1756
  2. https://en.wikipedia.org/wiki/Crell%27s_Annalen
  3. Geschichte der Chemie III. S.278
  4. Josef M. Schmid in ‘Die Publikationen Samuel Hahnemanns, S. 27
  5. Demachy’s Laborant II. S. 118f
  6. Medicinisches Journal, 1789, St. 21, S.33
  7. Vergl. Demachy, ‘Laborant im Grossen’ II. S. 163; ferner Gren, ‘Handbuch der Pharmacologie, Halle, 1792, II. S. 840
  8. Hg2O, NO5, kristallisiert mit 2 Äquivalenten<span class=
  9. Aus: ‘Recepte und Kurarten der besten Aerzte aller Zeiten’, Leipzig, 1814, 2. Auflage, IV. 24.
  10. Vg. B. Hirschel, Geschichte des Brown’schen Systems, Dresden und Leipzig, 1846, S.37
  11. K. Sprengel, Geschichte der Heilkunde, Halle, 1828, V. 1. S. 455
  12. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, Jena und Leipzig, 1799
  13. Heckers, Annalen, Bd. II., S. 444
  14. Steffens, I. c. S. 16
  15. I., c., S. 248
  16. Anfangsgründe der Physiologie, Wien 1789, §6
  17. F. Kapp, Systematische Darstellung der durch die neuere Chemie in der Heilkunde bewirkten Veränderungen und Verbesserungen; Hof; 1805; S.31f
  18. G. Ch. Reich, Beschreibung der mit seinen neuen Mitteln behandelten Krankheitsfälle; Nürnberg; 1800
  19. Medic. chirurg. Zeitg.; Salzburg; 1800, III. 315
  20. ib 1799, IV. 189, 1800, I. 25 u. 1800, IV. 292
  21. cf. Hufeland, System der practischen Heilkunde, Jena, 1818 u. Andere
  22. Medic. Journal von Baldinger, 1790, St. 23, S. 16
  23. Horn’s Archiv für med. Erf., III. S. 1f
  24. Anleitung alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen nebst einem Anhange über eine zweckmäßigere Behandlung der Fisteln, der Knochenfäule, des Winddorns, des Krebses, des Gliedschwamms und der Lungensucht. Leipzig, 1784
  25. Anleitung alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen nebst einem Anhange über eine zweckmäßigere Behandlung der Fisteln, der Knochenfäule, des Winddorns, des Krebses, des Gliedschwamms und der Lungensucht. Leipzig 1784; S.44
  26. Red. v. Prof. Hartenkeil, Salzburg 1790 III. 8. 345.
  27. Wien 1793. 488 S.
  28. 1791 1. S. 117 u. 231.
  29. Deutsche Monatsschrift Februarheft 1796 — Stapf II. S. 245.
  30. M. Müller ,,Zur Geschichte der Homöopathie,' Leipzig 1837 S. 31.
  31. Arzneischatz, aus dem Engl. übers. von Hahnemann. Leipzig 1800; S. 171.
  32. <span class=
  33. Wichmann, I. c. S. 118.
  34. <span class=
  35. Klinik der chron. Krankheiten, Erfurt, 1817, Bd. II. S. 614f
  36. Ahnungen einer allgem. Naturgeschichte der Krankheiten, Eisenach, 1828, S. 201
  37. Versuche über die prakt. Heilkunde aus den klin. Annalen von Tübingen, 1808 - Griesselich, Kleine Frescogemälde, Carlsruhe, 1836 I. S. 88
  38. Euchiridion medic., Vermächtnis einer 50jähr. Praxis, St. Gallen, 1839, 2. Aufl., S. 293f
  39. Ueber den Werth des hom. Heilverfahrens, 2. Ausgabe, Heidelberg und Leipzig, S. 33
  40. Bd. 3., St. 4, Göttingen, 1795
  41. Ein Blick auf Hahnemann, Leipzig, 1844, S. 6
  42. Ergänzungsheft VII, S. 307
  43. Huf. Journ. Bd. 6, St. 2, Anm.
  44. Ib. Bd. 5, St. 2, S. 52
  45. Ib. Bd. 9, St. 4, S. 15